"Es könnten Fälle eintreten, wo x2 + px nicht gänzlich gleich q sei..."

Seit vielen Jahren veröffentlicht, und doch feige sich verbergend in einem Werk, das doch gerade logisches Denken rühmt, ist diese ungeheure Verhöhnung der Mathematikerzunft vielleicht auch dir, lieber Leser, unter die Augen gekommen. Du bist möglicherweise der zersetzenden Wirkung dieses in deine Seele geträufelte Giftes entkommen, es hat dich nicht am Beschreiten des mathematischen Weges gehindert, so daß ich nicht mehr für dich fürchten muß, wenn du gezwungen bist, folgende abscheulichen Zeilen zu lesen:

Ich bestreite die Gültigkeit und damit den Wert eines jeden Verstandes, der in einer andern Spezialform als der abstrakt-logischen ausgebildet wird. Ich bestreite im besondern jeden Verstand, der sich aus mathematischen Studien entwickelt. Die Mathematik ist die Wissenschaft von Form und Größe; mathematisches Denken ist lediglich eine auf die Beobachtung von Form und Größe angewandte Logik. Der große Irrtum liegt in der Annahme, daß die Wahrheiten dessen, was reine Algebra heißt, gar abstrakte oder allgemeine Wahrheiten seien. Und dieser Irrtum ist so faustgrob, daß ich bestürzt bin ob der Universalität, mit der er hingenommen wurde. Mathematische Axiome sind nicht Axiome allgemeiner Wahrheit. Was für Verhältnisse - Form und Größe - zutrifft, ist oft ganz gröblich falsch im Hinblick auf zum Beispiel die Ethik. In dieser letzten Wissenschaft ist es sehr häufig einfach unwahr, daß die addierten Teile gleich dem Ganzen seien. Auch in der Chemie stimmt das Axiom nicht. Und nehmen wir die Frage von Motivierungen: zwei Motive von je einem gegebenen Wert haben nicht notwendigerweise auch vereint einen Wert, welcher der Summe ihrer Einzelwerte gleich wäre. Es gibt zahlreiche andere mathematische Wahrheiten, die einzig innerhalb der Grenzen der Verhältnisse Wahrheiten sind. Doch der Mathematiker schließt und folgert rein gewohnheitsmäßig aus seinen begrenzten Wahrheiten, als wären sie von absolut allgemeiner Anwendbarkeit was sich die Welt ja tatsächlich auch von ihnen einbildet. Bryant erwähnt in seiner sehr gelehrten »Mythologie« eine analoge Irrtumsquelle, wenn er sagt: »Obwohl die heidnischen Sagen gar nicht geglaubt werden, vergessen wir uns doch fortwährend und ziehen aus ihnen Folgerungen, ganz als handle es sich dabei um existente Realitäten.« Bei den Algebraikern jedoch, die selber Heiden sind, werden die »heidnischen Sagen« geglaubt, und daß man daraus Folgerungen zieht, geschieht also nicht so sehr aus Gedächtnisschwäche, als vielmehr aus schierer Hirnlosigkeit. Ich bin noch nie einem Nur-Mathematiker begegnet, dem man - kurz gesagt - außerhalb von Gleichungslösungen hätte trauen können, oder einem, der es nicht insgeheim für einen Glaubensartikel hielt, daß x2 + px absolut und bedingungslos gleich q sei. Probieren Sie's einmal und sagen Sie einem dieser Herren, wenn's gefällt, Sie wären des Glaubens, es könnten Fälle eintreten, wo x2 + px nicht gänzlich gleich q sei, und wenn Sie ihn so weit haben, daß er begreift, was Sie meinen, so begeben Sie sich aber ja so rasch als eben angängig aus seiner Reichweite, denn er wird zweifelsohne trachten, Sie mit Faustschlägen zu widerlegen.

Wer ist der Verfasser dieses Textes, der es verdiente, in alten Gewölben lebendig eingemauert zu werden, neben einem alten Fass vorzüglichsten Amontillado, auf daß sich seine Seele nimmermehr aus dem Schatten dieses rabenschwarzen Machwerks erhebe?

Hier finden Sie die Lösungen der Rätsel.

Veröffentlicht in:

HängeMathe Nr. 21

Januar 2003

Entstehungsdatum

Oktober 2002